Die Teilnehmer der Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages


Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages

 

Von Hendrik Walter, 08.02.2013

4 SchülerInnen reisen im Rahmen der Jungendbegegnung des deutschen Bundestages zum Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus nach Kiew und Berlin

„Alles, was das Böse benötigt, um zu triumphieren, ist das Schweigen der Mehrheit“
Der Deutsche Bundestag lud vom 24.-30.01 dieses Jahres 80 interessierte und engagierte Jugendliche aus 9 Nationen weltweit zur internationalen Jugendbegegnung zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ein. Das Marianum war vertreten durch Anne Flint, Friederike Ostendorf, Patrick Matenaar, Hendrik Walter. Im Rahmen des Themenschwerpunkts „Osteuropa als Ort nationalsozialistischer Verbrechen: Besatzung, Zwangsarbeit und Völkermord in der Ukraine“ reisten die Teilnehmer nach Bonn, Kiew und Berlin, um mit Zeitzeugen von Massenerschießungen, ehemaligen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen zu sprechen und schließlich der Gedenkstunde im Bundestag beizuwohnen.

„Generation der Zeugen von Zeugen von Zeugen“

Bundestagspräsident Norbert Lammert betonte in seiner Rede zur Gedenkveranstaltung im Bundestag: „Erinnerung lebt vor allem von der Unmittelbarkeit des Erlebten. Mit den Zeitzeugen der damaligen Ereignisse schwindet der unmittelbare Zugang zur Vergangenheit. Umso wichtiger sind neue Formen der Erinnerung.“ Unter diesem Motto war die Jugendbegegnung 1990 von der damaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth ins Leben gerufen worden, um „eine Generation der Zeugen von Zeugen von Zeugen “ zu schaffen, wie es die Friedensnobelpreisträgerin und Holocaust-Überlebende Elie Wiesel formulierte. In ihrem Sinne setzten sich die Teilnehmer aus dem Emsland intensiv mit ukrainischer Erinnerungskultur auseinander, indem sie beispielsweise das bekannte Museum des großen vaterländischen Krieges, das Holodomor Denkmal in Kiew und Originalschauplätze besuchten und die Ergebnisse im teilweise sehr lebhaft geführten interkulturellen Dialog mit jungen Ukrainern, Polen, Russen, Belarussen, Tschechen, Österreichern, Amerikanern, Franzosen und Deutschen diskutierten.

„Die Erde über den Gräbern bewegte sich noch tagelang, weil noch manche Opfer lebten“

Der Holocaust im Osten gilt als in der Öffentlichkeit wenig bekannt und in der Wissenschaft wenig erforscht, obgleich allein in der Ukraine nahezu jedes Dorf betroffen war und insgesamt rund 1,5 Millionen Menschen erschossen und in Gruben verscharrt wurden. Symbol dieses Grauens ist die Schlucht Babyn Jar in Kiew, wo in der größten Mordaktion des zweiten Weltkrieges am 29. und 30. September 1941 33.771 Menschen erschossen wurden. Den Teilnehmern war es möglich, diesen Ort zu besuchen und mit geflohenen Zeugen dieser Gräuel zu sprechen. Besonders erschütternd sind übereinstimmende Berichte dieser Zeugen, die Erde über den Gräbern habe sich noch tagelang bewegt, weil noch manche Opfer gelebt hätten. Umso überraschender war die Tatsache, welch eine zerstrittene Gedenkkultur unter den Nachfahren der Opfergruppen am Tatort herrschte. So wird dieser heute zum Teil als Parkanlage oder Spielplatz genutzt . In kleineren Dörfern sind die Orte dieser Massenexekutionen meist sogar völlig ungekennzeichnet, weshalb es sich der französische Pater Patrick Desbois mit seiner Organisation Yahad In Unum zur Aufgabe machte, diese Orte durch Zeitzeugengespräche zu identifizieren und angemessen zu kennzeichnen. Schließlich war es der Gruppe sogar möglich, eine Podiumsdiskussion mit Pater Desbois, Deidre Berger (American Jewish Comitee Berlin) und Bundestagspräsident Norbert Lammert zu führen, in der das Thema Erinnern, aber auch die aktuelle politische Situation in Bezug auf Rechtsextremismus leitende Gesprächspunkte darstellten. Besonders bemerkenswert war die Kritik Lammerts an den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern ARD und ZDF in Bezug auf die Vernachlässigung ihres Bildungsauftrags, da sie es vorzögen „Volle Kanne“ und „Rote Rosen“ anstelle der Gedenkveranstaltung im Bundestag zu senden. Lammert rief die Jugendlichen schließlich dazu auf, sich weiter gegen Antisemitismus und rechtsextremistische Tendenzen zu engagieren und „Demokratie zu leben“.

„Ich war besessen von der Idee, dass Vergleichbares nie wieder geschehen dürfe“

Den Höhepunkt der einwöchigen Jugendbegegnung stellte die Teilnahme an der Gedenkstunde im Bundestag dar, bei der die Jugendlichen das besondere Privileg genossen, direkt bei den Bundestagsabgeordneten im Plenarsaal zu sitzen und persönlich von Bundestagspräsident Lammert begrüßt zu werden. Die Hauptrednerin war Frau Inge Deutschkron, eine 90-jährige deutsch-israelische Jüdin, die den Krieg in Deutschland überlebte und Ihre Erlebnisse später in der Autobiographie Ich trug den gelben Stern verarbeitete. In Ihrer Rede mit dem Titel „Zerrissenes Leben“ schilderte sie Erlebnisse, Gefühle und Empfindungen als jüdische Verfolgte in der NS-Zeit, aber auch Eindrücke aus den Nachkriegsjahren. So beschrieb sie beispielsweise die permanente Angst vor Deportationen und Schikanen, denen sich die Juden ausgesetzt sahen, aber auch das Wirken so genannter „Stiller Helden“. Die Holocaust-Überlebende mahnte eine dauerhafte Auseinandersetzung mit dem Thema an. So betonte sie in Ihrer Rede, es gelte „die Wahrheit zu wissen, die ganze Wahrheit“ und hielt schließlich fest, sie sei „besessen von der Idee, dass Vergleichbares nie wieder geschehen dürfe.“ Als nachhaltende Eindrücke der Jugendbegegnung bleiben vor allem das Bewusstsein, welche Wichtigkeit Gedenken und Erinnern in Bezug auf den Nationalsozialismus einnimmt und die Antwort eines ukrainischen Zeitzeugen, der einer Massenerschießung entfloh, auf die Frage, was er uns mit auf den Weg gebe : „Vergesst nie, was geschehen ist. Lasst kein Übel, keinen Faschismus, keinen Hass zu- bewahrt ein gutes Herz.“

Die Überschrift ist ein Zitat des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan in Bezug auf Nazi-Deutschland.