Ein Buchpaket aus Israel

 

Schüler des Marianums in Meppen erhalten Lektüre eines Emigranten

Meppener Tagespost, 28.02.2012
trg MEPPEN. Mit einem besonderen Päckchen, das von Jerusalem nach Meppen geschickt worden war, hat Michael Fuest gestern den Unterricht im Deutsch-Grundkurs der Jahrgangsstufe 12 am Gymnasium Marianum eröffnet. Die angehenden Abiturienten öffneten es – und zum Vorschein kam ein Buch, dessen Reise aus heutiger Sicht bedeutsamer ist als sein Inhalt. „Die Eroberung der Tiefe“ heißt das Werk, das sich auf 78 Seiten, in Frakturschrift gedruckt nebst etlichen Grafiken, mit dem Tiefseetauchen aus populä̈rwissenschaftlicher Sicht beschäftigt. Verfasst hat es ein gewisser Hanns Gü̈nther. Buch und Autor dürften heute nur noch wenigen Fachleuten ein Begriff sein. Für Jochanan Winter aber besaß der schmale, 1928 erschienene Band offenbar hohen ideellen Wert. Er hatte ihn neben weiteren Büchern im Gepäck, als er im August 1933 nach Palästina emigrierte, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen. Und bewahrte ihn bis zu seinem Tod im Jahr 2007 auf.

Absender des Buchpakets, das die Meppener Gymnasiasten erreichte, war das Goethe-Institut in Jerusalem. Ihm haben Winters Frau und seine Kinder dessen umfangreiche deutschsprachige Privatbibliothek hinterlassen. Bü̈cher wie das nun ins Emsland gelangte zä̈hlen zur Institutsreihe „Keine leichten Pakete“. Sie entstand, nachdem in Israel immer mehr Nachfahren der Holocaust-Überlebenden nach einem würdigen Ort fü̈r die von ihren Eltern mitgebrachten Bü̈cher suchten. „Denn die Generation der deutschsprachigen Einwanderer in Israel stirbt allmählich aus“, erläuterte Deutschlehrer Fuest. Das Goethe-Institut sprang ein, wusste bald aber nicht mehr, wohin mit den vielen Büchern. Damit sie nicht im Keller vermodern, werden sie auf Anfrage als Paket verschickt. In Deutschland dienen sie dann als authentische Zeugnisse bei der Vermittlung der NS-Geschichte.

Der einstige Besitzer der „Eroberung der Tiefe“ wurde 1920 als Hans Winter in Kö̈nigsberg (heute Kaliningrad) geboren. Sohn einer großbürgerlichen jüdischen Familie, schloss er sich als 13-Jä̈hriger seinem erwachsenen Bruder Kurt an, als dieser unter dem Eindruck der beginnenden Ausgrenzung der Juden beschloss, Deutschland in Richtung Palästina zu verlassen. Die Eltern folgten ihnen im Jahr darauf; viele weitere Familienmitglieder sollten Verfolgung und Holocaust nicht überleben.

Jochanan Winter, wie er sich in der neuen Heimat nannte, wo er als Bankangestellter arbeitete, blieb der deutschen Kultur zeitlebens verbunden. Er studierte nach seiner Pensionierung deutsche Literatur an der Hebrä̈ischen Universität. All das erfuhren die Schü̈ler des Marianums aus einem Begleitheft, das ü̈ber Winters Lebensgeschichte und Lesevorlieben unterrichtete und dem Paket beigelegt war. Laut Fuest soll das Buch aus dem ungewöhnlichen Pä̈ckchen spä̈ter in die Jüdische Schule in Lingen kommen.